Die EGP, die EG… was?

Annalena Baerbock, Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen Partei (EPG). Bild: Heinrich-Böll-Stiftung Lizenz: CC BY-SA 2.0 Original: flickr.com

28. Juni 2012
Annalena Baerbock
Unbekannte Wesen und Institutionen gibt es in der EU viele. Eine ganz besondere Art dessen sind die Europäischen Parteien. Selbst-European-Studies-Absolventinnen und Absolventen fällt bei der Frage nach den europäischen Parteivorsitzenden meistens nur der/die jeweilige Vorsitzende der EP-Fraktion ein. Den Namen Martin Schulz beispielsweise oder auch Dany Cohn-Bendit haben zumindest einige schon mal im EU-Kontext gehört. Sergei Stanischew, den aktuellen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas (PES) oder Philippe Lamberts, Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei (EGP), kennen eher nur Insider. Und auch mit den Parteinamen können nur ganz wenige was anfangen. Selbst bei Bündnis 90/Die Grünen kommt oft die Rückfrage: EG...was?, wenn man sagt, man fährt zum EGP Council – also dem Parteitag der Europäischen Grünen Partei.

Junges Gewächs

Angesichts des doch eher geringen Bekanntheitsgrades kommt den Parteien eine relativ prominente Rolle in der Europapolitik zu. Gemäß Artikel 10 Absatz 4 EU-Vertrag sollen sie „zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürger der Union“ beitragen. Keine leichte Aufgabe, zumal die politischen Parteien auf europäischer Ebene formal erst mit dem Vertrag von Maastricht 1992 eingeführt wurden, selbst wenn auch schon vorher europaweite Parteienverbünde bestanden. Und es dauerte bis zur Europawahl 2004 bis mit der Europäischen Grünen Partei (davor noch Europäischen Föderation Grüner Parteien) eine europäische Partei eine europaweit einheitliche Wahlkampagne mit einem gemeinsamen Manifest führte.

Angesichts dieser jungen Geschichte verwundert es nicht mehr so sehr, dass europäische Parteien bis dato eher ein Schattendasein führten. Zufriedenstellend kann diese Situation aus europapolitischer Sicht jedoch – gerade angesichts des Auftrags, den die Parteien erfüllen sollen – nicht sein. Daher gilt es dringend darüber zu diskutieren, wie diese jungen europapolitischen Gewächse zum Gedeihen gebracht werden können.

Plattform sein

Wichtigste Voraussetzung, um die europäischen Parteien zu stärken, ist aus meiner Sicht, sie europapolitisch nicht zu idealisieren. Von Heißblut-Europäer/innen wird gerne angeregt, dass die europäischen Parteien den nationalen Parteien ihre Leitlinien vorgeben. Fakt ist jedoch, dass die europäischen Parteien nach wie vor ein Zusammenschluss nationaler Parteien sind. Und selbst wenn es bei der EGP mit den sogenannten individual supporters Einzelmitglieder gibt, so sind die zentralen Player die Delegierten der nationalen Parteien. Und diese unterscheiden sich gerade bei den Grünen enorm: von starken Regierungsparteien, wie in Deutschland oder Finnland zu eher loseren Politikzusammenschlüssen gerade in den osteuropäischen Ländern.

Zentrale Aufgabe der europäischen Parteien sollte es derzeit daher sein, vor allem eine Plattform für den Austausch der unterschiedlichen Parteien in Europa zu bieten, den Austausch untereinander und mit dem Europaabgeordneten anzuregen und – besonders wichtig - Europäische Impulse in die nationalen Parteien zu setzen. Dies gilt um so mehr mit Blick auf den Europawahlkampf, bei dem es idealerweise einen abgestimmten europäischen Wahlkampf gibt, um eben das Europäische und nicht das Nationale deutlich zu machen.

Europäische Öffentlichkeit stärken

Ein zentrales Problem der Europäischen Parteien liegt im Fehlen von zivilgesellschaftlichen Counterparts. Positionen von nationalen Parteien erreichen auch dann erst das öffentliche Interesse, wenn sie aufgegriffen und von anderen Akteuren gespiegelt werden: das klassische Ping-Pong-Spiel von Positionen, das Treiben und Getrieben werden, das öffentliches Interesse erregt. Wichtig für die Sozialdemokraten sind die Gewerkschaften; für die Grünen die Umweltverbände. Dieses Ping-Pong-Spiel oder anders ausgedrückt die „Räume und Foren, in denen gesellschaftliche Gruppen streiten können“ fehlt auf europäischer Ebene.

Bestes Beispiel dafür war die Debatte um die sogenannte Bolkestein-Richtlinie (Dienstleistungsfreiheit). Eine sehr lange Zeit agierten vor allem die nationalen Gewerkschaften mit ihren nationalen Sichtweisen auf nationaler Ebene – selbst wenn natürlich Einzelvertreter in den parlamentarischen Prozess im Rahmen des klassischen Lobbyings involviert waren. Eine wirkliche Dynamik und europaweites Interesse wurde aber erst erreicht als die Gewerkschaften deutlich stärker auf europäischer Ebene europäisch agierten. Ohne diese Europäisierung der Interessensgruppen fehlt den politischen Parteien der Resonanzkörper.

Mediale Berichterstattung ausbauen

Damit einher geht die bereits vielfach diskutierte Voraussetzung, dass über europäische Themen und dementsprechend über europäische Parteien auch berichtet werden muss, damit ihr Agieren in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dafür brauchen wir sicher keine andere oder eine in Brüssel stationierte „EU-Presse“. Vielmehr muss sich die Form der Berichterstattung ändern. Nationale Medien müssen auch für europäische Parteien Räume schaffen.

Wahlrecht reformieren

Auf der instrumentellen Ebene bedarf es einer Reform des Europawahlrechts, um deutlich zu machen, dass es hier um europäische Parteien und nicht um rein nationale Parteien geht. Gerne genannt wird auch der Vorschlag von transnationalen Wahllisten mit gemeinsamen europäischen Kandidat/innen (Parteiübergreifende Gesetzesinitiative unter Federführung von A. Duff MdEP). Diese Idee hat sicher seinen Charme. Ebenso zentral erscheint mir jedoch, überhaupt erst mal die europäischen Parteien auf dem Wahlzettel zu vermerken, anstatt die nationalen Kürzel, wie CDU, SPD, Grüne... anzuführen.

Zudem sollte die Idee, den/die Kommissionspräsident/in direkt von dem EP wählen zu lassen und dementsprechend zu forcieren, dass die Spitzenkandidat/innen der Parteien auch als Kommissionspräsident/in antreten in dem Sinne weitergedacht werden, dass die Kommissare jeweils prozentual zu den Stimmenergebnissen von den europäischen Parteien ernannt werden könnten, anstatt wie bisher von den nationalen Regierungen.

 

---
Annalena Baerbock, Vorstandsmitglied der Europäischen Grünen Partei und Sprecherin der BAG Europa von Bündnis 90/Die Grünen

Dossier: Europas gemeinsame Zukunft

Die EU steckt nicht nur in einer Schuldenkrise, sondern auch in einer Vertrauens- und Demokratiekrise. Gerade jetzt ist eine breite öffentliche Debatte über alternative Vorschläge zur Zukunft Europas gefragt. Die Heinrich-Böll-Stiftung möchte mit dem Webdossier zu dieser Debatte beitragen.

Dossier

Zur Zukunft der EU

Die Schuldenkrise droht in eine Legitimitätskrise der EU zu münden. Die Antwort darauf muss heute vor allem in einer Stärkung der europäischen Demokratie liegen. Die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, die in der Studie "Solidarität und Stärke" erarbeitet wurden, werden im Dossier genauso wie diejenigen der Expert/innenkommission, vorgestellt.